ИСТИНА

Einen Theaterprobenprozess kann man im Luhmann´schen Sinne mit Recht als ein soziales System bezeichnen, d.h. als „einen Zusammenhang von Elementen [...], deren Beziehungen untereinander quantitativ intensiver und qualitativ produktiver sind als ihre Beziehungen zu anderen Elementen“ (Luhmann 1984). Gleichzeitig ist ein Theaterprobenprozess ein Musterfall, der zum einen das autopoietische Konzept, zum anderen aber Kommunikation als die kleinste Einheit jedes Systems nach Niklas Luhmann aufweist. Und so entsteht auch die Struktur jedes Probenprozesses auch im Luhmann´schen Sinne erst nachdem die gemeinsame Funktion dieses Prozesses durch die Kommunikationen aller Elemente geprägt wird. Jeder am Probenprozess Beteiligte wird automatisch zum gleichberechtigten Mitglied dieser geschlossenen community, durch seine Kommunikation bekommt jeder das Recht, an diesem rituellen Vorgang zu partizipieren. Warum wird denn ein Probenprozess „rituell“ genannt? Rituale können unter anderem als „kontingente und transgressive Ereignisse beschrieben werden, deren Funktion darin besteht, unterschiedliche Arten von Grenzüberschreitungen zu ermöglichen“ (Metzler Lexikon Theatertheorie 2005: 274). In den Proben können gerade durch diese einerseits kommunikativen und andererseits liminalen Vorgänge die Grenzen nicht nur des Alltäglichen, sondern sogar die der bereits transformierten Inkorporationsphase überschritten werden. Nach Victor Turner sind es vor allem Schauspieler, die „sich in einem liminalen Zustand befinde[n], [und dementsprechend] sich vorübergehend von allen regulären sozialen Bindungen, alltäglichen Abläufen und gesellschaftlichen Regeln losgelöst fühle[n] (Metzler Lexikon Theatertheorie 2005: 276). Aber welche Rolle spielen dann die sogenannten „Nicht-Eingeweihten“ (Nicht-Schauspieler) mit ihrer Präsenz bei der Eröffnung der „kulturellen Spielräume für Experimente und Innovationen“ (Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen 2004: 306)? Was fordern sie durch ihr Dasein heraus? Wird dadurch eine neue Ästhetik ins Leben gerufen? Es wird ein Versuch unternommen, den Probenprozess aus performativer Sicht als rituellen Raum zu untersuchen, der seine Struktur durch ein geregeltes Mechanismus entstehen lässt.